Gießen und die Landesgartenschau

Gießen wird im Jahr 2014 die Landesgartenschau ausrichten. Nachdem es im vergangenen und Anfang diesen Jahres zu Protesten gekommen war, die sich vor allem an den notwendigen Umgestaltungsprozessen aufgehängt hatten, ist die Landesgartenschau jetzt in ruhiges Fahrwasser gekommen und die Gestaltungsarbeiten sind in vollem Gang.

Doch vielleicht zunächst einmal, um was handelt es sich überhaupt bei einer Landesgartenschau?

Eine Landesgartenschau ist, was der Name eigentlich nicht vermuten lässt, nur noch im Kern eine Ausstellung über den Gartenbau. Landesgartenschauen sind nunmehr vor allem zu einem Motor der Stadtentwicklung geworden, da neue Grün-, Freizeit- und Infrastrukturmaßnahmen, vom Land bezuschusst, als sogenannte „Begleitmaßnahmen“ realisiert werden können. In Gießen führt die Landesgartenschau beispielsweise zu einer Sanierung des Bahnhofvorplatzes, einer Aufwertung des Kirchenplatzes, einer Radler- und Fußgängerbrücke zwischen West- und Nordstadt, einer barrierefreien Querung der Ostanlage und einer Vielzahl an gärtnerisch aufgewerteten Flächen und vielem anderen mehr. Hierbei erhält die Stadt, wie oben angedeutet, Zuschüsse vom Land, die sie ohne dieses Ereignis nicht erhalten würde. Im Unkehrschluss bedeutet das – ohne Landesgartenschau können angesichts der Finanzlage wichtige Infrastrukturprojekte wie die seit vielen Jahren überfällige Sanierung des Bahnhofsvorplatzes nicht verwirklicht werden.

Bürgerbeteiligung und Proteste

Die Landesgartenschau hat eine längere Vorgeschichte: So hat sich die Stadt schon im letzten Jahrzehnt, 2005, mit einem Stadtverordnetenbeschluss, der von fast allen Parteien mitgetragen wurde, für die Bewerbung um die 5.Landesgartenschau in Gießen entschieden. 2008 erhielt Gießen dann, im Wettbewerb mit mehreren anderen Städten, den Zuschlag zur Ausführung. In Folge dessen wurde seitens der Stadt eine breit angelegte Bürgerbeteiligung initiiert. Darin konnten die Gießenerinnen und Gießener sich frühzeitig einbringen. Schon beim Inhalt der Auslobungsunterlagen des Architektenwettbewerbs, also die Anforderungen nach denen sich die Entwürfe richten sollten, gab es Bürgerbeteiligungsverfahren. Ein solches Verfahren hatte es in der Form bei noch keiner anderen Landesgartenschau gegeben. Darüber hinaus befassten sich mehrere Agenda-Gruppen mit dem Thema und es fanden eine Vielzahl an Bürgerbeteiligungsveranstaltungen zu einzelnen Projekten der Landesgartenschau statt wie zur neuen Skateanlage oder zum Kirchenplatz. Die Landesgartenschau wurde künstlerisch von der Gruppe Gärtnerpflichten aufgegriffen, es fand eine mehrwöchige Ausstellung zum Siegerentwurf der Gartenschau statt, und sie war zudem über mehrere Jahre Beobachtungsgegenstand in den lokalen Medien.

Trotz dieser breiten Beteiligung und der umfassenden Information formierte sich im Dezember 2011 eine Bürgerinitiative, die zu hohe Kosten und die notwendigen Baumfällungen monierte, außerdem seien die Bürger nicht eingebunden gewesen. Die BI sammelte für die Einleitung eines Bürgerentscheids ca. 3500 gültige Unterschriften. Es fanden sich nunmehr, neben vielen Artikeln über die Aktivitäten der BI, eine Vielzahl an Leserbriefen in den lokalen Zeitungen, die somit ebenfalls eine größere Ablehnung der Landesgartenschau nahe legten. Auch überregionale Medien nahmen sich im Zuge dessen des Themas, meist bezogen auf jeweilige Kritikpunkte, des Themas an.
Wie konnte es hierzu kommen, wenn doch zuvor eine Vielzahl an Bürgerbeteiligungen, an Informationen stattgefunden hatten, in denen die Teilnehmenden Zustimmung signalisierten und sich eine breite Mehrheit der Stadtparlamentarier immer wieder für die Landesgartenschau ausgesprochen hatten?

Die Antwort ist hauptsächlich in zwei Punkten zu sehen. Zum einen, um hier auf den Punkt des Informationsdefizits einzugehen, fanden einerseits wie erwähnt sehr viele Veranstaltungen städtischerseits statt, die überdies eine nicht unbeträchtliche Summe öffentlicher Gelder gekostet haben. Andererseits muss sich selbstkritisch die Frage gestellt werden, wie es trotzdem passieren konnte, dass 3500 Leute, teilweise in Unkenntnis der genauen Bedeutung dessen, gegen die Landesgartenschau unterschrieben hatten und in einer aktuellen Umfrage ca. die Hälfte der Gießener sich dazu bekannten nicht genügend über die Landesgartenschau informiert zu sein? Sicherlich kann auch bei den Bürgerinnen und Bürgern insofern eine Holschuld gesehen werden, als dass sie sich über Geschehnisse vor Ort informieren. Allerdings besteht auch eine Bringschuld seitens der jeweiligen politischen Ebene, hier der Stadt Gießen. Dem konnte sie trotz umfänglichster Bemühungen offenkundig nicht für alle ausreichend nachkommen. In welcher Form also Kommunen wie Gießen in einer immer komplexeren, da immer stärker atomisierten Gesellschaft, ihrem Informationsauftrag und damit verbundenen Beteiligungsansinnen nachkommen können, ist demnach eine große Herausforderung, der sich nicht nur Gießen stellen muss. Dies gerade, da bestimmte Teile der Gesellschaft, hauptsächlich dem Bildungsbürgertum entstammend, nach mehr Mitwirkung verlangen.

Zum anderen konnte der Eindruck entstehen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Landesgartenschau ablehnt, da es sich bei einigen Kritikern um äußerst aktive Mitglieder unserer Gesellschaft handelt, die fußend auf ihrem Bildungsniveau, auf ihrem politischen Erfahrungsschatz, wie beispielsweise in anderen BIs oder in Parteien, die Debatte z.B. über Kampagnenerfahrung, das Leserbriefeschreiben oder über das rhetorisch versierte Auftreten in Versammlungen prägen konnten. Ein zweiter Punkt, der mit letzterem zusammenhängt ist darin zu sehen, dass kritische Aktivitäten einen äußerst starken Widerhall in den Medien angefangen von den lokalen Tageszeitungen, über das Radio, bis zu Berichterstattungen von RTL und Sat 1 fanden. Auf einmal war die Gießener Landesgartenschau das Thema nicht nur in ganz Hessen. Anlass war in den meisten Fällen die Berichterstattung über einen bestimmten Kritikpunkt. So findet in den letzten Jahren in den Medien eine Entwicklung statt, wonach diejenigen die etwas kritisieren bzw. die kritische Botschaft an sich sehr stark und, das ist das bedenkliche, eindimensional in den Vordergrund rückt. Demnach berichteten Fernsehsender, nachweislich falsch, dass sich die geplanten Kosten mehr als verdoppelt hätten, denn die Investitionskosten sind und bleiben gedeckelt. Es wurde ein nicht-öffentliche Entwurf zur Eingriffs- und Ausgleichsplanung, der noch im Arbeits- und Abstimmungsprozess war an die Presse gegeben. In der Folge erhielten Kritiker breiten Raum den Entwurf der Stadt massiv zu kritisieren, obwohl es rein fachlich betrachtet offensichtlich war, dass es sich um einen unfertigen Entwurf handeln musste.

Jetzt, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof eindeutig geurteilt hat, dass das Bürgerbegehren der BI nicht rechtmäßig ist, da sich nicht an gesetzliche Fristen gehalten wurde, und eine repräsentative Umfrage des Gießener Anzeigers ergeben hat, dass eine Mehrheit von 42,7% der Gießener für und 36,5% gegen die Landesgartenschau sind, haben sich die Wogen um die Landesgartenschau geglättet. Nach der hergestellten Rechtssicherheit und mit der nachweislichen Mehrheit der Bevölkerung im Rücken, konnten nun Ausschreibungen für die vielen Infrastrukturprojekte in Auftrag gegeben werden.

Somit ist jetzt im Sommer 2012 die Ausrichtung der Landesgartenschau sicher. Wie oben angedeutet, muss sich als Lehren aus den hiesigen Vorgängen gesellschaftlich darüber verständigt werden wie Kommunikation zwischen Politik und Bürgern verlaufen soll, damit ein Informationsfluss gewährleistet bleibt, der es möglichst allen Bürgern ermöglicht teilzuhaben, sei es passiv oder aktiv, und politische Entscheidungen somit auf einem sicheren Fundament stehen können. Zudem muss sichergestellt werden, dass unser repräsentatives, demokratisches System nicht dadurch aus den Fugen gehoben wird, dass eine Gruppe von Menschen die öffentliche Meinung so stark beeinflusst, dass andere ebenfalls wichtige Interessen außen vor gelassen werden.

Die Landesgartenschau ist jetzt im Werden, und schon in diesem Jahr werden ihre positiven Aspekte in den Vordergrund treten, wenn durch die laufenden Baumaßnahmen die ersten Verbesserungen sichtbar werden.

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